Man sollte meinen, dass ein Werbeprospekt und ein Gedicht von Rainer Maria Rilke nicht viel miteinander zu tun haben, ihre Gemeinsamkeit bestand darin, auf meinem Küchentisch zu landen, als ich über die erste Seite in meinem neuen, noch jungfräulichen ArtJournal nachdachte.
Das lag nämlich auch auf meinem Küchentisch und wartete. Wartete darauf, dass ich den einmal gefassten Entschluss auch in die Tat umsetzen würde.
Während des Essens blätterte ich dann, um mich abzulenken, die Post durch, die ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause aus meinem Briefkasten gefischt hatte. Dabei eben jener Werbeprospekt mit unerschwinglichen Schönheiten, die Seiten ansprechend grafisch gestaltet und mit wunderschönen Fotos versehen, traumschöne Stoffe - wären da nicht die Preise gewesen...
Also habe ich den Prospekt schnell zur Seite geschoben, warum soll ich mich quälen? und mich weiter meiner restlichen Post gewidmet, einer Einladung, die mit eben jenem Gedicht von Rilke überschrieben war. Ich mag Rilke, seine Zeilen berühren mich oft auf eine Weise, die ich nicht in eigene Worte zu fassen vermag. Es ist, als wenn sie die Saite eines Instrumentes in mir zum Schwingen bringen, sie füllen mich mit Musik und, nicht zuletzt, mit Bildern. Früher hätte mich das dazu gebracht, zu zeichnen. Ausgelaugt von der Arbeit, wie ich gerade am Tisch sitze, kann ich nicht zeichnen, auch wenn ich wollte. Mir fehlt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Und vor mir liegt dieses schöne neue Buch und wartet...
Ich nehme wieder den Prospekt zur Hand und blättere wahllos darin, vor und zurück, während es in meinem Kopf zu arbeiten beginnt.
Und bevor ich es wirklich wahrgenommen habe, lösen meine Finger einzelne Motive aus den Seiten und schieben sie in dem neuen Buch zurecht - da war doch noch ein passendes Stück auf der anderen Seite? Wild blättere ich und reiße, bis ich glücklich vor einem Haufen von Schnipseln sitze und den Rest des Prospektes mitsamt der Preise in den Papierkorb entsorgen kann. Es sind zu viele Schnipsel für die eine Seite geworden, aber das macht nichts, schließlich wartet ja ein ganzes Buch auf mich!
Sorgsam wähle ich aus, schiebe hin und her, bis ich zufrieden bin und hole mir einen Klebestift aus der Schublade. Die Hürde ist übersprungen, ein Anfang ist gemacht.
Da fällt mein Blick auf die Zeilen von Rilke und, zeitgleich, auf den Rest Kaffees, den ich in meinem Schnipselwahn habe kalt werden lassen. Ob man damit schreiben kann?
Jetzt beginnt die experimentelle Phase, mit einem Zahnstocher (ich weiß nicht, wo ich meine Pinsel in den Umzugskisten habe), schreibe ich die Zeilen in die Bildzwischenräume. Kaffee hat eine komische Farbe, wenn er trocknet. Statt des erwarteten warmen Brauntons überrascht mich etwas Blasses, Gelbstichiges. Nicht besonders schön. Mein erster Misserfolg gleich auf der ersten Seite?
Mittlerweile ist es spät geworden, aber ich habe angebissen. Also beginne ich, in meinen Kisten nach Farben und Stiften zu suchen, finde Fineliner, Gel- und Aquarellstifte und einen alten abgelegten Wasserfarbkasten meiner Kinder. Das muss reichen. Ich grundiere und lasiere und puste mich schwindelig, weil das Ganze nicht schnell genug trocknen will. Schreibe die Gedichtzeilen noch einmal mit braunem Fineliner, diesmal quer über beide Seiten, dann noch mal mit weißem Gelstift, einfach versetzt noch einmal darüber. So ist es besser. Jetzt kann ich schlafen gehen.
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